WAHNVORSTELLUNG EINER WAHNVORSTELLUNG
Kranke Welt. Mein Zuhause.
Meine Haut wird spürbar rot. Ich kann es nur spüren, das Rotwerden meiner Haut an den Druckstellen, wo sich der springseildicke Strick in mich furcht. Meine Handgelenke, meine Füsse, mein Hals und der Stuhl. Dieser verdammte Stuhl, von dem ich mich nicht trennen kann, weil ich an ihn gefesselt bin. Alles. Alles befindet sich in der Dunkelheit. Schwarz. Nackt. Ohne einen Quadratzentimeter Stoff auf meinem Körper sitze ich da und werde von hinten geschlagen. Immer wieder trifft die flache Hand dieser Frau meinen Rücken, meinen Nacken. Schläge. Schmerz. Die Folge der Erfüllung meiner triebhaften Wünsche ist Leid. Ich leide unter mir. Schläge. Schmerz. Erregung.
Liebe? Sex.
Bilder ziehen an mir vorbei: Tanzende junge Leute bewegen sich mit zerrissenen Jeans und klobigen schwarzen Schuhen zum Fatbeat der Housemusic. Die Luft ist tot. Die Schuhe sind zu schwer, die Beine bewegen sich kaum. Die Arme bewegen sich auf- und abwärts, die nackten Oberkörper nach vorne und wieder zurück. Ein Mädchen hat sehr schönes Haar, sehr lang, sehr schwarz, gewellt. All diese Gesichter sind so blass. Sie wirken krank auf mich. Diese jungen Körper – aufgefüllt mit Drogen. Ihre Bewgungen drücken nur Brutalität und Aggression aus – das Produkt von Fürsorge und Erziehung. Währenddem ich mich noch frage, wieso ich in diesen nahen Gesichtern keine Augen erkennen kann, liege ich schon in einer verdreckten Badewanne und eine alte Hure steht, auf mein Gesicht pissend, übermächtig auf mir. Meine Schultern sind stark, ich halte ihr Gewicht aus. Dafür den Anblick ihrer Brüste nicht, schrecklich. Sie lacht. Ich wehre mich. Ja, natürlich, ich kämpfe – aber eben nur innerlich. Physisch bleibt die Situation bestehen, aber psychisch gehe ich langsam kaputt.
Ich werde dieses Luder nicht bezahlen. Warum schlägt sie mich? Warum liess ich mich fesseln? Doch nicht etwa, weil wir uns gerne haben?
Neonflächen flitzen an mir vorbei, ungemein schnell. Grell. Sie bewegen sich zu meiner Richtung entgegengesetzt durch den schwarzen Tunnel. Ich habe Angst, getroffen zu werden. Draufzugehen.
Ich werd mir selber fremd auf dieser kranken Welt.
Schläge.
Und da sind wieder die tanzenden Leute. Ihre Gesichter sind noch blasser geworden. Teilweise grünlich. Sie drohen in sich selbst einzufallen. Von der rechten Seite tritt ein schwerbewaffneter Mann ins Bild. Narben. Er bleibt stehen und schiesst – immer wieder. Bis alle tot sind. Auch er lacht: töten scheint ihm Spass zu machen. Er richtet seine riesige Waffe auf mich. Ich frag mich, ob er auch mich töten wird. Er bricht zusammen, sackt auf die Knie und beginnt zu weinen.
Das Weinen verändert sich, wird lauter.
Die Illusion des Mörders verschwindet, ohne den Ton mitzunehmen.
Ich bemerke die einstmals schlagende Frau hinter meinem Stuhl.
Sie liegt zusammengekrümmt am Boden, nackt und weint.
Was soll ich bloss machen?